Lehrerkram

Unterricht vorbereiten

„Ich habe da noch den Ord­ner aus dem letz­ten Jahr, da ist das alles noch drin.“, so die Ant­wort der Kol­le­gin Golight­ly auf mei­ne Fra­ge, ob wir uns mal zusam­men­set­zen wol­len, um die ers­ten Ein­hei­ten der gemein­sam unter­rich­te­ten Klas­se zu bespre­chen.

Bit­te nicht miss­ver­ste­hen: Ich fin­de Ord­ner aus ver­gan­ge­nen Jah­ren durch­aus gut und einen Mate­ri­al­fun­dus, aus dem man schöp­fen kann, sehr prak­tisch. Auch ich erfin­de das Rad nicht jedes Schul­jahr neu — war­um auch?

Was mich an die­sem Satz und dem ihn umge­ben­den Gespräch gestört hat, ist das mit­schwin­gen­de „Das genügt doch“.

Ich glau­be näm­lich nicht, dass das genügt.

Anhand mei­ner Über­le­gun­gen und Pla­nung zur ers­ten Unter­richts­ein­heit im Fach Deutsch in einer 8. Klas­se will ich ein­mal ver­su­chen, zu ver­deut­li­chen, was ich mei­ne:

Das The­ma im schul­ei­ge­nen Arbeits­plan und im Schul­buch lau­tet „Aktu­el­les vom Tage“. Das Buch behan­delt die­ses The­ma auf ins­ge­samt 7 Sei­ten und geht dabei aus­schließ­lich auf gedruck­te Tages­zei­tun­gen ein. Behan­delt wer­den die Titel­sei­te, Res­sorts und Bericht und Repor­ta­ge.
Der Ord­ner der Kol­le­gin Golight­ly beinhal­tet kom­plet­te Stun­den­ver­läu­fe und schö­ne Arbeits­blät­ter und Kopier­vor­la­gen zum Buch.

Ers­tes Pro­blem aus mei­ner Sicht: Im Ord­ner fin­de ich nur Papier. Ohne digi­ta­le Vor­la­gen ist somit schon ein­mal aus­ge­schlos­sen, dass ich Arbeits­blät­ter an mei­ne Lern­grup­pe anpas­sen und viel­leicht dif­fe­ren­zie­ren kann. Wenn ich das tun möch­te, muss ich das Blatt ent­we­der sel­ber neu schrei­ben oder den Erstel­ler unter den Deutsch­kol­le­gen suchen und um die Datei bit­ten. Auf­wän­dig. Unnö­tig.

Zwei­tes und für mich viel gra­vie­ren­des Pro­blem: die Redu­zie­rung auf die Print­aus­ga­ben der Tages­zei­tun­gen. Die sind in den Haus­hal­ten unse­rer Schü­ler­schaft nur noch sel­ten zu fin­den.

„Aktu­el­les vom Tage“ bezie­hen die meis­ten Men­schen heu­te wohl eher über die Online-Aus­ga­ben oder Face­book und Twit­ter. (Letz­te­res aller­dings ist unter Jugend­li­chen kaum ver­brei­tet.)
Das bedeu­tet aber, dass ich mei­ne Schü­ler nur dann zu kom­pe­ten­ten Nach­rich­ten-Kon­su­men­ten machen kann, wenn ich die­se Medi­en mit ein­be­zie­he und mit ihnen auch — um nur ein Bei­spiel zu nen­nen — die Finan­zie­rung von Online-Maga­zi­nen betrach­te.

Sie zu kom­pe­ten­ten Nach­rich­ten-Lesern oder ‑Sehern zu machen, muss aber das Ziel sein!

Die Grund­la­ge mei­ner Unter­richts­pla­nung sind näm­lich mit gerin­gen Abwei­chun­gen je nach Fach und The­ma grund­sätz­lich fol­gen­de drei Fra­gen:

1. Wel­che wesent­li­che Kom­pe­tenz soll über­haupt ent­wi­ckelt wer­den?
Dies berührt die Rele­vanz des Unter­richts­ge­gen­stands: wenn durch die Behand­lung des The­mas kei­ne Kom­pe­tenz­ent­wick­lung mög­lich ist, oder es nur um „Nich­tig­kei­ten“ geht, muss ich die Schü­ler nicht damit behel­li­gen.
An die­ser Stel­le fra­ge ich noch nicht nach all den klei­nen Zie­len einer Unter­richts­ein­heit oder ein­zel­ner Stun­den. Davon gibt es etli­che, die sich manch­mal sogar erst im Lau­fe der Zeit ent­wi­ckeln, wenn ich beson­de­re Defi­zi­te oder Stär­ken der Lern­grup­pe fest­stel­le. Bei die­ser Fra­ge geht es um Schü­ler- und Gesell­schafts­re­le­vanz in dem Sin­ne, dass die zu ent­wi­ckeln­de Kom­pe­tenz den Schü­lern für ihr Leben nütz­lich sein soll­te und der­art kom­pe­ten­te Men­schen die Gesell­schaft berei­chern. ((Hier redu­zie­re ich bewusst nicht auf den Begriff „nütz­lich“ für die Gesell­schaft. Die Dis­kus­si­on um Schu­le als Zulie­fe­rer der Wirt­schaft ist für mich abge­schlos­sen, mein Ziel als Leh­rer ist ein ande­res.))

Für das The­ma „Aktu­el­les vom Tage“ lau­tet also die Leit­fra­ge mei­ner Pla­nung „Wie wer­den die Schü­ler zu kri­ti­schen und reflek­tier­ten Kon­su­men­ten von Nach­rich­ten?“

2. Wel­che fach­li­chen und über­fach­li­chen Kom­pe­ten­zen und wel­ches not­wen­di­ge Fach­wis­sen sind dabei im Blick zu behal­ten?
Die­se Fra­ge nimmt die Berei­che des Unter­richts­ge­gen­sstan­des in den Blick, die für das jewei­li­ge Fach von Bedeu­tung sind.
„Aktu­el­les vom Tage“ bekommt aus der Sicht des Poli­tik­un­ter­richts einen ganz ande­ren Schwer­punkt als aus der Sicht des Deutsch­un­ter­richts.

Auf­grund der Lern­aus­gangs­la­ge und den Pla­nun­gen für das wei­te­re Schul­jahr wird das Schrei­ben von Berich­ten in die­ser Ein­heit einen beson­de­ren Stel­len­wert haben, die leis­tungs­stär­ke­ren Schü­ler sol­len sich auch mit Repor­ta­gen befas­sen.

Inner­halb der Ein­heit müs­sen also die for­ma­len Merk­ma­le eines Berichts (inklu­si­ve der Wie­der­ho­lung der indi­rek­ten Rede und der Tem­pus­for­men) gelernt wer­den. Das ist zunächst ein­mal rei­ne Wis­sens­an­eig­nung und hat noch wenig mit Kom­pe­tenz zu tun.

Da hilft dann der drit­te Punkt wei­ter:

3. Wel­ches Pro­dukt soll der Unter­richt erge­ben? An wel­chem Gegen­stand oder durch wel­che Hand­lung wird geübt und das Gelern­te zur Anwen­dung gebracht?

Wäh­rend im Fach Poli­tik bei­spiels­wei­se eine Podi­ums­dis­kus­si­on zur Ein­füh­rung einer all­ge­mei­nen Wahl­pflicht eine Ein­heit zum The­ma Bun­des­tags­wah­len been­den kann, wobei die Schü­ler ihr vor­her erwor­be­nes Wis­sen zu Wahl­sys­tem, Wahl­ver­fah­ren, Stamm- und Nicht­wäh­lern aktiv ein­brin­gen kön­nen, geht es mir im Fach Deutsch um das Schrei­ben und kri­te­ri­en­ge­lei­te­te Über­ar­bei­ten von Tex­ten.

In die­sem Fall sol­len die Schü­ler also Berich­te ver­fas­sen und bis zu einer gewis­sen Ver­öf­fent­li­chungs­rei­fe kor­ri­gie­ren und ver­fei­nern.

Auf die­ser Basis ver­fas­se ich dann eine Grob­pla­nung der Unter­richts­ein­heit und den Ver­lauf der ers­ten zwei oder drei Stun­den. Die fol­gen­den Stun­den ent­wick­le ich dann aus­ge­hend von Erfol­gen und Miss­erfol­gen der ers­ten Stun­den.
Das oben skiz­zier­te „Ske­lett“ bleibt dabei aber immer bestehen und bil­det den Rah­men, auch wenn ich viel­leicht zwei statt einer Stun­de für die Titel­sei­te brau­che, zur Auf­lo­cke­rung noch ein Inter­view als jour­na­lis­ti­sche Dar­stel­lungs­form ein­flech­te und die Schü­ler in den Ort schi­cke, oder mir Gedan­ken mache, ob und wie ich viel­leicht doch Twit­ter behan­deln müss­te.

Das alles ist weder der hei­li­ge Gral der Unter­richts­pla­nung, noch erfüllt es alle Anfor­de­run­gen an kom­pe­tenz­ori­en­tier­ten Unter­richt, und wahr­schein­lich wür­den mei­ne ehe­ma­li­gen Stu­di­en­se­mi­nar­lei­ter mir das Gan­ze um die Ohren hau­en — aber so sieht mei­ne Pla­nung aus, und bis­lang fah­re ich — so glau­be ich — ganz erfolg­reich damit.

Mir per­sön­lich gibt die­se Art der Pla­nung aus­rei­chend Frei­heit für spon­ta­ne Ände­run­gen und Anpas­sun­gen, ohne den Lern­zu­wachs (oder Kom­pe­tenz­zu­wachs) der Schü­ler aus dem Blick zu ver­lie­ren. Ich möch­te auf die Lern­grup­pe oder aktu­el­le Ereig­nis­se reagie­ren kön­nen und neh­me dafür ger­ne in Kauf, jedes Jahr mei­ne Arbeits­blät­ter neu zu gestal­ten.

Schön, wenn es dann eine erprob­te Vor­la­ge gibt, aber eine gan­ze Samm­lung aus­ge­druck­ter Vor­la­gen möch­te ich lie­ber nicht haben — für das „Fleisch“ auf dem Ske­lett sor­ge ich lie­ber immer wie­der sel­ber, ich muss am Ende näm­lich mei­nen Unter­richt und alles dabei Gelern­te und eben auch nicht Gelern­te ver­ant­wor­ten. Solan­ge mir nie­mand die­se Ver­ant­wor­tung abnimmt, solan­ge muss mir auch nie­mand die Pla­nung abneh­men.

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